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IR im Internet - 
Conditio sine qua non der AG

Vom Realtime-Reporting, Online-Aktienhandel ohne Intermediäre bis hin zu Web Doggies

Von Patrick Kiss, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung: Investor Relations Manager, Gontard & MetallBank AG

Gute Aussichten für Proxy Voting
Formulieren von Visionen
Reine Online-Börsen denkbar

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in der Börsen-Zeitung, Nr. 180, 16.9.2000, Sonderbeilage "Investor Relations", Seite B 10

Mit der ständig zunehmenden Verbreitung des Internets wird auch das Interesse an Investor Relations im Internet weiter wachsen. Während die heutigen Darstellungsformen teilweise von der Informationsaufbereitung in gedruckter Form geprägt sind, dürften sie schon in wenigen Jahren überholt sein, wenn Kommunikationsforscher das Verhalten der Internet-Nutzer präziser untersucht haben und die Ergebnisse in die Gestaltung der Investor Relations im Internet einfließen.

Im Folgenden werden Tendenzen beschrieben, die bereits heute erkennbar sind, und Visionen formuliert, deren Realisation langfristig denkbar wäre.

Was Finanz-Portalseiten schon anbieten, wird in Zukunft zu einem Standardelement auf Unternehmenswebsites: Online-Diskussionen in Form von Live-Chats und Videokonferenzen via WWW. Hochrangige Unternehmensvertreter stehen - regelmäßig oder zu besonderen Anlässen - Investoren, Journalisten und Analysten online für deren Fragen zur Verfügung.

Während Videokonferenzen derzeit noch stark von der technischen Ausstattung der Internet-Nutzer und den Übertragungskapazitäten des Internets limitiert werden, dürfte dies in wenigen Jahren kein bedeutender Hemmfaktor mehr sein. Schon heute werden Live-Chats organisiert, zu beobachten ist aber noch eine geringe Beteiligung seitens der Investoren. Was momentan noch mit technischen Unvollkommenheiten erklärt werden könnte, wird wohl bald durch das Argument eines Überangebots derartiger Diskussionsmöglichkeiten erschwert. Veranstalter solcher Chats müssen für diese werben und versuchen, Stammteilnehmer für sich zu gewinnen.

Das gleiche Problem wird für Live-Übertragungen von Veranstaltungen - zum Beispiel Hauptversammlungen oder Pressekonferenzen - im Internet gelten. Die technische Machbarkeit und das aufkommende Überangebot erschweren den Interessierten die Auswahl. Ein Phänomen vergleichbar dem "Zapping" beim Fernsehen könnte entstehen. Der nächste Kanal, die nächste Website und die nächste Online-Pressekonferenz sind nur einen Tastendruck bzw. Mausklick entfernt.

Gute Aussichten für Proxy Voting

Was die Online-Abstimmung auf Hauptversammlungen betrifft, so sind in diesem Zusammenhang sehr online-spezifische Fragestellungen für die Gesetzgebung zu erkennen. Mit dem Signaturgesetz zur verschlüsselten digitalen Unterschrift gibt es erste Lösungsansätze. Weiterhin müssen Wege gefunden werden, den Aktionär bei einer Online-Teilnahme an der Hauptversammlung zu authentifizieren und dafür zu sorgen, dass er seine Stimme nicht mehrfach abgibt. Das inzwischen schon von verschiedenen Aktiengesellschaften gewählte Verfahren des Proxy-Votings hat gute Aussichten, sich durchzusetzen.

Investor Relations im Internet sind zu einer "conditio sine qua non" einer modernen Aktiengesellschaft geworden. Jedes börsennotierte Unternehmen wird seine Finanzkommunikation im Internet professionalisieren, um im Wettbewerb um das Kapital der Investoren nicht in eine schlechtere Ausgangsposition zu geraten.

Auch die Rechnungslegung wird sich weiterentwickeln. Eines Tages werden auf den Investor Relations-Seiten der Unternehmen vollständige Informationen zu finden sein, die automatisch und permanent direkt aus dem System des Rechnungswesens heraus aktualisiert werden. Für den Investor und den Kapitalmarkt würde dieses "Realtime Reporting" vollständige Transparenz bedeuten.

Diese Entwicklung könnte zu einem Standard an Mindestanforderungen führen, der den Aktiengesellschaften aber dennoch genügend Raum für freiwillige Investor Relations-Maßnahmen im Internet lässt.

Formulieren von Visionen

Aufbauend auf diesem Standard könnte man sich die Entwicklung intelligenter Software-Programme vorstellen, die dem Investor die Suche nach geeigneten Anlagemöglichkeiten erleichtern oder gar abnehmen. So genannte Software-Agenten - Web-Doggies - werden mit den individuellen Anlagestrategien, Risikopräferenzen und sonstigen Kriterien des Investors gefüttert. Dann strömen die Investment-Robots ins weltumspannende Datennetz aus und durchstreifen es ständig, immer auf der Suche nach vielversprechenden Investitionsmöglichkeiten, die den programmierten Vorgaben entsprechen. Werden sie fündig, kehren sie zurück und vermelden ihrem Besitzer die Information, wie ein Hund, der das Stöckchen apportiert.

Für ein derartiges Szenario wären standardisierte Investor Relations-Websites nützlich. Die Software-Agenten könnten sich schneller orientieren und die Informationen wären besser vergleichbar.

Reine Online-Börsen denkbar

Zukünftig sind reine Online-Börsen denkbar, die sich neben den nationalen Börsen etablieren. Börsen, Banken und Broker könnten sich mit internationalen Netzbetreibern zusammenschließen und ein virtuelles Parkett kreieren. Jeder Internetnutzer würde mit anderen direkt kontrahieren, ohne einen Vermittler zwischenzuschalten und somit faktisch sein eigener Börsenmakler werden. Erste Bestrebungen in diese Richtung sind in den USA zu beobachten.

Noch weiter führt die Überlegung, dass die Website eines Unternehmens als Marktplatz für die eigenen Aktien dient. Angebot und Nachfrage für die Aktien eines Unternehmens könnte an einer Stelle konzentriert werden, was wiederum eine erheblich verbesserte Preistransparenz nach sich ziehen würde. Für die schnelle Auffindbarkeit der entstehenden Mikro-Börsen im Internet müsste eine zentrale Stelle existieren, die alle Internetadressen der teilnehmenden Unternehmen verwaltet. Jedes Unternehmen führt ein Orderbuch, stellt Kurse und führt die Marktteilnehmer zusammen. Dadurch weiß es jederzeit, wie sich die Nachfrage und somit der Wert der eigenen Aktie entwickelt, wer die aktuellen Aktionäre sind und wer die Aktien gerade kauft oder verkauft.

Aber nicht nur der Handel mit Aktien, sondern schon deren Emission, das Going Public und nachfolgende Kapitalerhöhungen können vom Unternehmen selbst abgewickelt werden. Dies bedingt eine gesetzliche Grundlage und Kontrollmechanismen zur Überwachung des Aktienhandels.

Die zielgruppenspezifische Finanzkommunikation im Internet könnte mit all den beschriebenen Visionen in neue Dimensionen vorstoßen und endgültig einen festen Platz in der Kommunikationsstrategie von Unternehmen der New- und Old-Economy einnehmen. 
(Börsen-Zeitung, 16.9.2000)


© 2008 by Patrick Kiss

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